Vernetzte Fabriken: Von drei auf 75 Prozent

Google, GE oder sogar ein Mittelständler aus München: Wer macht bei den Softwareplattformen zur Vernetzung von Maschinen und Flotten das Rennen? Es geht um einen Milliardenmarkt. Axel Höpner vom Handelsblatt nimmt den Stand um Smart Factories unter die Lupe.

Smart Factory im Handelsblatt

Handelsblatt Printartikel: Nr. 215 vom 07.11.2016, Seite 26/Der deutsche Mittelstand

Alle reden vom Internet der Dinge. Big Data soll innovative Dienstleistungen ebenso möglich machen wie den effektiveren Einsatz von Maschinen – indem Geräteparks, Fahrzeugflotten und bisweilen sogar die Produkte selbst miteinander kommunizieren. Doch tatsächlich haben sich bislang nur wenige Unternehmen derart vernetzt.

Das könnte sich jetzt ändern. Die Technologien sind aus der Pilotphase herausgewachsen und bereit für den Einsatz in der Fläche. „Am Anfang mussten wir gerade bei konservativen Mittelständlern viel Beratung leisten“, sagt Marten Schirge, Manager bei der Software-Firma Device Insight, „doch jetzt springt der Markt richtig an.“ Die Device Insight GmbH ist ein Pionier im Internet der Dinge. Sie hat mit Centersight eine Software-Plattform entwickelt, mit deren Hilfe Geräte und Maschinen miteinander vernetzt werden können. Wichtig sind dann die Analyse der Daten und das Lernen daraus. „Der Mehrwert steckt in den Daten“, sagt Gründer und Geschäftsführer Reinhold Stammeier. „Das war bereits bei der Firmengründung im Jahr 2003 unser Leitgedanke.“

Zwar liegt der Umsatz von Device Insight laut Branchenschätzungen noch im einstelligen Millionenbereich, doch mit Zuwächsen von jährlich 30 Prozent gehört die Münchener Firma zu den am schnellsten wachsenden IT-Firmen in Deutschland.  „Das Tempo können wir noch eine Weile durchhalten“, ist Schirge überzeugt.

Es geht um einen Milliardenmarkt. Heute sind zum Beispiel nach Schätzungen von Siemens erst gut drei Prozent der Fabriken weltweit an das Internet der Dinge angeschlossen. „Wir haben hier einen Riesenmarkt vor uns“, sagte Siemens-Manager Peter Weckesser. In zehn Jahren könnten nach seiner Schätzung 75 Prozent der Fertigungsstätten digital angebunden sein. Hinzu kommen Anwendungen zum Beispiel bei Fahrzeug- und Maschinenflotten.

In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, wer den Wettbewerb unter den Plattformen gewinnen wird, die die Anbindung der Maschinen an das Internet und die Analyse der Daten ermöglichen. Die Konkurrenten kommen aus sehr unterschiedlichen Ecken: Da gibt es die amerikanischen IT-Firmen wie IBM, Microsoft und Google, die sich mit Algorithmen bestens auskennen. Auf sie trifft Device Insight bei verbrauchernahen Anwendungen zum Beispiel rund um die Vernetzung von Technik im Haus („Smart Home“).

Dagegen verweisen in der Industrie Konzerne wie Siemens und General Electric mit ihren Plattformen Mindsphere und Predix mit eigenen Lösungen darauf, dass sie die Branchen und die Prozesse besser kennen. Sie kombinieren oft Hard- und Software miteinander. Ähnliches gilt auch für Bosch.

Und schließlich gibt es viele kleinere Software-Spezialisten wie Device Insight, die Nischen besetzen und auf die individuellen Bedürfnisse gerade kleinerer Kunden flexibel eingehen können. Denn die Mittelständler haben oft veraltete IT und Maschinen, die noch einige Jahre laufen sollen. Gefragt sind daher derzeit insbesondere sogenannte Retrofit-Lösungen, die die Anbindung auch für bestehende Maschinen und Anlagen ermöglicht.

Das Internet der Dinge setzt sich jetzt im Mittelstand durch ,weil die ersten Anwendungen den wirtschaftlichen Mehrwert zeigen. Mit Hilfe der Software von Device Insight zum Beispiel können seit vier Jahren professionelle Reinigungsmaschinen von Kärcher miteinander vernetzt werden.

In die Maschinen wird eine Telematik-Einheit verbaut, die in eine Cloud Daten übermittelt. Das Reinigungsunternehmen kann über ein Internetportal dann darauf zugreifen. „Der Kunde hat den Vorteil, dass er genau weiß, wie sein Maschinenpark organisiert ist und wie die Maschinen ausgelastet sind“, erklärt Kärcher-Manager Friedrich Völker. Kärcher wiederum kann den lukrativen Service verbessern, zum Beispiel durch vorausschauende Wartung. Auch bei Heizungen von Stiebel Eltron gibt es ähnliche Lösungen.

Die Schnittstelle für solche Anwendungen würden viele Unternehmen gern stellen.  Daher gibt es im Moment noch viele Plattformen. Wer das Rennen macht, ist noch nicht entschieden. Experten erwarten aber eine Konsolidierung. Auf längere Sicht werde es neben Nischenanbietern wohl nur eine Handvoll Plattformen geben, zeigt sich Carlos Härtel im Gespräch mit dem Handelsblatt überzeugt. Er ist europäischer Technologiechef von General Electric. Auf eine genaue Zahl will er sich nicht festlegen, aber 20 werden es wohl „eher nicht“, sagt Härtel.

Allerdings glaubt er auch nicht an das Fast-Monopol eines Anbieters, wie es das im Konsumenten-Suchmaschinenmarkt gibt. Zum einen werde die Software bei professionellen Anwendungen nicht kostenlos sein. Das schaffe Wettbewerb über den Preis. Zudem seien Industriekunden traditionell an einem Wettbewerb ihrer Zulieferer interessiert und machten sich ungern abhängig von einer einzigen Lösung.

General Electric hatte angekündigt, mit Predix zum Start in diesem Jahr sechs Milliarden Dollar Umsatz machen zu wollen, in vier Jahren sollen es schon 15 Milliarden sein. Allerdings ist bislang noch unklar, welche Leistungen GE hier mit einbezieht. Branchenkenner gehen davon aus, dass da auch viel Hardware und Dienstleistungen mit eingerechnet sind. In der Industrie gibt es zudem noch Plattformen von IBM und PTC („Thing Worx“).

Fest steht in jedem Fall: Der Markt ist attraktiv. „Ich habe noch nie eine so dramatische revolutionäre Entwicklung erlebt wie jetzt die Big-Data-Ära“, sagte der Präsident der Technischen Universität in München, Wolfgang Herrmann, kürzlich. Viele hat das Tempo der vergangenen Jahre überrascht.

Nicht aber die Macher von Device Insight. Lösungs-Manager Hendrik Nieweg war schon vor zehn Jahren dabei, als die Firma gerade einmal aus sechs Mitarbeitern bestand. Seither hat sich die Zahl der Beschäftigten verzehnfacht. Dabei will das Unternehmen gar nicht alles selbst machen, sondern setzt stark auf Kooperationen. „Wir haben zum Beispiel keine Data-Scientists oder App-Entwickler“, sagt Nieweg, „mit Partnern zusammen können wir aber alle Leistungen anbieten.“

Wenn immer mehr Dinge auf der Welt ans Internet angeschlossen werden, gewinnt die Infrastruktur enorm an Bedeutung. Natürlich wollen alle, dass Highspeed-Datennetze ausgebaut werden. Doch bei vielen Anwendungen geht es gar nicht um Geschwindigkeit und große Datenmengen.

Viele Maschinen zum Beispiel senden nur einmal am Tag ein relativ kleines Datenpaket. Da seien dann vor allem kostengünstige Low-Power-Lösungen notwendig, sagte Device-Insight-Manager Schirge. „Wenn die Verbindungskosten 20 Euro im Monat betragen, lohnen sich manche Anwendungen einfach nicht.“ Bei Kommunikationslösungen kooperiert Device Insight mit Vodafone. Der Telekommunikationsriese hat sich auch 20 Prozent der Firmenanteile gesichert, der Rest liegt bei den Gründern. Noch halten die Strukturen bei Device Insight mit dem stürmischen Wachstum mit. Doch die Software-Firma, die seit ihrem Start schwarze Zahlen schreibt, würde natürlich zu vielen Unternehmen passen, die Komplettlösungen anbieten wollen.

Viele Pioniere wurden von den Großen übernommen, wenn der Markt erst einmal so richtig angesprungen ist. Nicht ausgeschlossen, dass es auch dem Internet-der-Dinge-Pionier einmal so ergeht.

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